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Warum Deutsche auswandern... (aus FTD)

von Astrid Maier (Hamburg)

Den einen zieht es in die Schweiz, den nächsten nach Kanada. Eines haben deutsche Auswanderer gemeinsam: Sie finden in der Ferne attraktivere Arbeitsplätze. Auf FTD Online erzählen sie von ihren Erfahrungen. Haben auch Sie den Schritt ins Ausland gewagt?

Naturidylle und gut bezahlte Jobs: Die Schweiz ist zum begehrtesten Ziel für deutsche Auswanderer avanciert
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Die meisten Menschen trauen sich ihr Leben lang nicht. Anna Korb* hingegen hat es schon zwei Mal gewagt. Als Kind kam die heute 33-jährige mit ihren Eltern aus der Ex-Sowjetunion nach Karlsruhe in die Bundesrepublik: Über 2000 Kilometer zogen die Korbs westwärts von den Füßen der Karpaten in der heutigen Ukraine vor die Tore des Schwarzwaldes. Es sollte kein Aufenthalt für immer in Baden werden. Im Januar 2006 verabschiedete sich Anna Korb auch aus der neuen Heimat.

Kinder können sich besser entwickeln

Ihr Ziel: Genf in der Schweiz. "Ich habe dort einen guten Job gefunden", lautet der Grund, warum die diplomierte Innenarchitektin zum zweiten Mal das Wagnis eingeht, komplett von vorne anzufangen. Und sie fügt hinzu: "Wenn ich sehe, dass meine Kinder sich dort besser entwickeln können, spielt der Wohnort für mich keine Rolle."

145.000 Deutsche packten 2005 auf der Suche nach einem bessern Leben ihre Koffer, so die Statistik. Was die Zahlen nicht sagen: Dies ist die höchste Abwanderung aus Deutschland seit 1954. Der Hauptgrund für die Auswanderungswelle sind bessere Arbeitschancen, gibt das Raphaels-Werk in Hamburg an. Die Einrichtung berät im Auftrag der Kirche und des Staates seit über 100 Jahren Ausreisewillige. Mehr als die Hälfte der Ratssuchenden gaben im vergangenen Jahr berufliche Gründe an, so das Raphaels-Werk.

Neben dem Job spielten auch die Aussichten der Kinder für deutsche Auswanderer eine Rolle, sagt Monika Schneid vom Raphaels-Werk. "Soziale Kälte, mangelnde Ausbildungs- und Berufsperspektiven und allgemein geringes Vertrauen in die Zukunft des Landes", seien weitere Gründe, sagt Schneid.

Der "amerikanische Traum" wirkt nach

Wie Korb zieht es dabei immer mehr Deutsche in die Schweiz. Das Land der Eidgenossen rückte im vergangenen Jahr sogar auf Platz Eins der beliebtesten Auswanderungsziele, die USA rutschten in der Gunst der Deutschen auf Platz zwei. Dennoch wirke "die Idee vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der amerikanische Traum" nach wie vor, sagt Beraterin Schneid.

  • Die Gesundheitsreform wird verschoben, die Mehrwertsteuer erhoben, Auszubildende abgelehnt - "Bin ich froh, nicht mehr in Deutschland zu leben", diesen Kommentar und ähnliche lesen wir immer wieder von FTD-Online-Lesern. Wir möchten mehr über unsere Leser im Ausland erfahren. Schreiben Sie uns über Ihre Erfahrungen mit dem Auswandern an Auswanderer@ftd.de
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Auch für die Auswanderer, die in Europa bleiben, sei die Entscheidung meistens vom Arbeitsplatz abhängig. Neben der Schweiz sind in Europa vor allem Österreich, Polen und Großbritannien beliebte Ziele deutscher Auswanderer. Ins Ausland zieht es vor allem Deutsche aus den alten Bundesländer oder aus Berlin. Nur 10.000 Deutsche aus den neuen Bundesländern zogen 2005 ins Ausland, so das statistische Bundesamt in Wiesbaden.

Korb gefällt in ihrer neuen Heimatstadt Genf vor allem das internationale Ambiente. Und dass die Menschen dort ihr etwas zutrauen - auch Fähigkeiten, die sie nicht unbedingt mit einem Diplom oder einer Urkunde beweisen kann.

"Der Anfang war schon verdammt schwierig"

"Ich habe die Stelle wegen meiner Sprachkenntnisse bekommen", sagt sie. Für ihren neuen Arbeitgeber, ein Immobilientrust, hat Korb nicht nur den Wohnort, sondern auch den Beruf gewechselt. Die Innenarchitektin, die zuvor über ein Jahr lang in Deutschland vergeblich nach Jobs gesucht hatte, arbeitet jetzt als Kundenbetreuerin. "Sie haben jemanden gesucht, der perfekt Deutsch und Russisch kann", so Korb lapidar.

Dennoch, das erste halbe Jahr "war schon verdammt schwierig", sagt sie über ihr neues Leben. So pendelte sie die ersten sechs Monate jedes Wochenende zu Mann und Kindern nach Karlsruhe, jetzt ist die Familie nachgekommen. Korb hat die neue Herausforderung im Job offenbar gut gemeistert: Ihr Arbeitgeber bezahlt ihr nun ein Fernstudium zum Trust Officer, fünf Examen à 2.200 Euro inklusive.

"Diese Möglichkeit, mich bei einem Arbeitgeber derart weiterzubilden, hätte mir in Deutschland niemand gegeben", sagt die Mutter von zwei Töchtern. Neben einem Bruttomonatsgehalt von knapp 3.800 Euro sieht sie noch einen entscheidenden Vorteil zum Leben in Deutschland: "Dass ich bereits zwei Kinder habe, war in der Schweiz eher von Vorteil, in Deutschland war das immer nur ein Hindernis".

Die Skyline von Vancouver: Auf manche Einwanderer wirkt Kanada wie ein "Erholungszentrum"
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Auch Markus Hoffmann* ist Vater zweier Kinder. Die 20 Monate und knapp vier Monate alten Töchter des Ostwestfalen wurden in Kanada geboren. "Das ist eher für die Daheimgebliebenen wie meine Eltern exotisch", sagt der 41-jährige Mathematikprofessor. Der Zufall habe ihn 1998 zunächst in die USA verschlagen, gerade hat er sich in der Nähe von Halifax im Westen Kanadas "ein Haus mit Aussicht" gekauft. Seine Töchter haben einen kanadischen Pass.

"Ich wollte eine Festanstellung"

Hoffmann ging damals für ein Postdoktorantenprogramm in die USA, dann nach Kanada, Vancouver. Schon die Ankunft am Flughafen habe ihn begeistert: Wasserfontänen und Indianerskulpturen erweckten bei ihm den Eindruck: "Das ist ja ein Erholungszentrum hier". Und auch die Freundlichkeit der Kanadier begeistert ihn bis heute: "In Deutschland wird man erst angemuffelt, in Kanada wird man erst angelächelt", sagt er. Letztlich gab aber ein anderer Grund den Ausschlag zu bleiben: "Ich wollte eine Festanstellung", sagt Hoffmann.

Die hat er nun als Professor an einer kleinen Universität im Westen Kanadas in der Nähe von Halifax. "Im angloamerikanischen Raum kann man sich auch als unerfahrener Wissenschaftler ohne Meriten beweisen und sich eine Festanstellung erarbeiten", sagt er. In Deutschland gebe es diese "Bewährungsmöglichkeit" so gut wie nicht.

Vor allem seine Frau sehne sich durchaus nach dem alten Leben in Deutschland zurück. "Als politisch interessierter Mensch kann man sich hier schon über so manches aufregen", sagt er. Den Abmeldeschein der Stadt Köln, wo er zuletzt in Deutschland wohnte, bewahrt Hoffmann im tragbaren Safe seines neuen Hauses auf. "Abgemeldet ins Ausland" steht da drauf. "So etwas ist für Papierangelegenheiten wichtig", sagt er. Ganz ohne Bürokratie geht es auch im Ausland nicht.