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Eliten ueber den Wolken...

Eliten ueber den Wolken

aus manager magazin 3/2006, Seite 104

Von Henrik Mülle

Deutsche Konzernlenker entfremden sich immer weiter vom großen Rest der Nation. Eine abgehobene Elite, die ihrer gesellschaftlichen Führungsrolle nicht mehr gerecht wird.

Am Ende entließ sich Helmut Knüfer selbst. Er sperrte das Werkstor hinter sich zu und ging heim. Das war am 30. Juni vorigen Jahres. Hinter ihm lag ein schlechtes Jahr: Ärger, Streik, Frust. Und immer wieder die Frage: Haben wir alles richtig gemacht? Ging es wirklich nicht anders?

Knüfer (57) saugt an einer Camel Filter. Er trinkt schwarzen Kaffee, schön stark. Er braucht das jetzt. "Die Sache" lässt ihn nicht kalt. Und doch war es unausweichlich: "Die Sache musste gemacht werden."

Eine Fabrik schließen, eine neue aufbauen - alles folgte betriebswirtschaftlicher Logik. Die Konzernleitung hatte Zahlen vorgelegt: Die Beschäftigten in Tschechien verdienten 80 Prozent weniger als ihre deutschen Kollegen, das Lohnkostengefälle würde noch für Jahrzehnte fortbestehen. "Rational", sagt Knüfer, "war die Sache einfach - wir hatten keine Chance. Aber emotional war es so furchtbar schwer."

Er ist immer noch in sich gespalten - einerseits professioneller Manager, der der Logik des Wettbewerbs gehorcht, andererseits Lokalpatriot, der tief in der Region verwurzelt und mit den Leuten verbunden ist. Der personifizierte Widerspruch des real existierenden Standortwettbewerbs.

Knüfer war Personalchef des Rolltreppenwerks des US-Konzerns Otis in Stadthagen. Im März 2004 hatte der Konzern angekündigt, die Produktion verlagern zu wollen. Knüfer hätte mitgehen können nach Tschechien. Aber er mochte nicht mehr. Also blieb ihm nur noch, die verbliebenen Beschäftigten in eine Beschäftigungsgesellschaft zu entlassen und schließlich sich selbst in die Arbeitslosigkeit.

Der Fall Otis sorgte deutschlandweit für Aufsehen. Eine Menge Bundes- und Landesprominenz machte sich damals auf den Weg in die südniedersächsische Provinz, um die demonstrierenden Werktätigen in ihrem Kampf zu unterstützen - um anzuprangern, dass hier "die soziale Marktwirtschaft vor die Hunde geht" (IG-Metall-Chef Jürgen Peters).

All das hat Knüfer getroffen. Und es wirkt fort. Er hat jetzt eine Menge Zeit, denkt viel nach. Der Job des Managers, sagt Knüfer, bestehe nun mal darin, "der Mannschaft eine Perspektive zu geben. Wenn es die nicht mehr gibt, muss man sich verhauen lassen".



Aber wer eröffnet neue Perspektiven, und wer stiftet Zuversicht? Wie schafft man es, dass hier zu Lande neue, gut bezahlte Jobs entstehen? Wie entschärft man den Konflikt zwischen den kurzfristigen Renditeansprüchen des mobilen Kapitals einerseits und den langfristigen Belangen der Belegschaften, ja der gesamten Gesellschaft andererseits?

Fragen, die derzeit viele Manager und Unternehmer umtreiben. Sie sind unsicher, ob die Art und Weise, wie sie sich dem Standortwettbewerb stellen, eigentlich richtig ist - ob sie für kurzfristige Einsparungen nicht ihre gesellschaftliche Verankerung gefährden, ohne die wiederum kein Unternehmen langfristig erfolgreich sein kann.

Deutsche Führungskräfte zweifeln inzwischen an ihrer eigenen Kaste. Dieses Bild zeichnet das diesjährige International Executive-Panel (IEP); exklusiv für manager magazin hat die Personalberatung Egon Zehnder Topmanager in Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien befragt. Die Ergebnisse? Alarmierend.

* Nur 40 Prozent der befragten deutschen Manager geben an, die Führungskräfte der großen Kapitalgesellschaften hier zu Lande seien überwiegend "integre Persönlichkeiten" - der niedrigste Wert aller untersuchten Länder.
* Auch ihre Kollegen im eigenen Unternehmen beurteilen viele Manager nicht uneingeschränkt positiv: Lediglich 68 Prozent der Befragten halten die Führungskräfte in ihrem Umfeld für überwiegend integer; in den USA etwa liegt dieser Wert bei 90 Prozent.
* Deutsche Manager schenken den gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns vergleichsweise wenig Beachtung. In keinem der vier betrachteten Länder spielen soziale Belange im Kalkül der Firmenleitungen eine so geringe Rolle wie in Deutschland.

Es scheint fast so, als bestätigten die Ergebnisse so manches Vorurteil gegen den angeblichen "Raubtierkapitalismus". Haben wir eine abgehobene Elite, desinteressiert an der Gesellschaft?

Manfred Wennemer und Josef Ackermann - das sind die Reizfiguren der Debatte. Die Vorstandsvorsitzenden von Continental und Deutscher Bank stehen im Ruf, von einer ruchlosen Heimatlosigkeit beseelt zu sein.

So ließ Wennemer, der eine Betriebsvereinbarung für das Continental-Werk in Hannover-Stöcken platzen ließ, obwohl die Fabrik profitabel ist, dazu per Interview in der "Welt" wissen: Der Protest gegen den Abbau der 320 Jobs sei lediglich Ausdruck einer "lokalen Moral". Es sei doch klar: "International interessiert das Thema Stöcken niemanden."



Hier ein Manager, der sich als Sachwalter des übergeordneten globalen Marktes sieht, dort der große Rest der Gesellschaft, der in irgendwie archaischen lokalen Bezügen verhaftet ist - kann man mit einer solchen Einstellung langfristig erfolgreich sein? Zweifel sind erlaubt.

Erfolgreich um jeden Preis: Im Zweifelsfall entscheiden sich Topmanager nicht mehr für den Standort Deutschland
Es sei schon klar, sagt Burkhard Schwenker, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, dass auch in guten Zeiten der Wettbewerbsdruck kaum nachlasse. Aber internationale Kostenunterschiede auszunutzen sei eben nur eine unternehmerische Strategie.

Noch wichtiger sei es, zusätzliche Wertschöpfung zu kreieren, die auch hier zu Lande wettbewerbsfähig sein kann - und so nebenbei die Gesellschaft insgesamt voranzubringen. "An solch einer positiven Vision für die langfristige Existenz ihres Unternehmens in Deutschland müssen manche Manager allerdings noch arbeiten."

Die Normalbürger nehmen es zur Kenntnis, frustriert und zunehmend unwillig. Und je mehr der Aufschwung sich verfestigt, je besser die Unternehmen wirtschaftlich dastehen, desto schwieriger sind Stellenabbau, Betriebsverlagerungen und Lohnzurückhaltung zu erklären.

Selbst im Mittelstand wird der Graben zwischen Unternehmern und Belegschaften tiefer. Eine manager-magazin-Umfrage vom vorigen Herbst zeigt: Größere, erfolgreiche Mittelständler wollen eher weitere Gehaltskürzungen durchsetzen als kleinere Firmen.

Und wie die Konzerne, so fühlen auch sie sich ihrer Heimat immer weniger verpflichtet. Unternehmer mit kleineren Firmen hingegen empfinden immer noch mehrheitlich eine moralische Verpflichtung, die erwirtschafteten Gewinne vorwiegend in der Bundesrepublik zu investieren.

Das Verhaltensmuster zieht sich durch die gesamte Wirtschaft: Wer sich nichts anderes leisten kann als Deutschland, fühlt sich der Heimat enger verbunden. Wer hingegen dank Globalisierung seine Chancen überall auf der Welt suchen kann, entfernt sich innerlich vom immobilen Rest der Nation.

"Früher, in den 80er Jahren", sagt der Chef eines M-Dax-Unternehmens, "wurde noch für Standorte hier zu Lande gekämpft. Damals entschieden die Topmanager im Zweifel für Deutschland. Meine Generation kann sich das heute gar nicht mehr leisten. Wir haben keine Zeit. Wir kämpfen jeden Tag ums Überleben unserer Unternehmen."



Nur wenigen Topmanagern und Unternehmern ist egal, was aus ihrer deutschen Heimat wird. Aber die meisten nehmen die Entwicklung mit einem resignierten Gleichmut hin. Sie haben sich innerlich verabschiedet. Anderswo auf der Welt - in China, in Osteuropa, in den USA - erleben sie Gesellschaften im Aufbruch, in Deutschland hingegen vor allem Tristesse und miese Laune.


Die Folge ist eine wechselseitige Entfremdung zwischen der international aktiven Wirtschaftselite und dem großen Rest der Nation.

So fühlt sich inzwischen die Mehrheit der deutschen Manager von dieser Gesellschaft unverstanden, wie die Zehnder-Umfrage zeigt: 68 Prozent der deutschen Befragten - mehr als in allen anderen Ländern - geben an, sie seien mit "einem massiven Vertrauensverlust" konfrontiert.

Interessanterweise ficht sie das aber kaum an. Verglichen mit den übrigen befragten Nationalitäten, machen sich die deutschen Führungskräfte keine großen Sorgen über die politische und gesellschaftliche Situation im Land: Nur 35 Prozent der deutschen Befragten fürchten das Ausbrechen von gesellschaftlichen Krisensymptomen, viel weniger als unter ihren französischen (88 Prozent), britischen (81 Prozent) und amerikanischen (55 Prozent) Pendants.

Offenkundig ist es so: Deutsche Manager nehmen die Stabilität der Gesellschaft als gegeben an - das ist Sache der Politik und des Sozialstaats -, weshalb sie glauben, die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns ignorieren zu können. Darf man fordern, dass sich die Wirtschaftseliten mehr einsetzen müssen - für die Gesellschaft, für die Nation, wenn man so will?

Man darf. Horst Köhler (62) zum Beispiel, nicht gerade als Kritiker des globalen Kapitalismus verschrien, mahnt eindringlich: "Die Verantwortung von Unternehmern endet nicht an den Werkstoren." Schließlich verdankten sie ihren Erfolg "auch den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen".

Ungewohnt spitz formuliert der Bundespräsident: "Es ist erlaubt, die Ärmel noch mehr hochzukrempeln, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, und dabei auch an das Land zu denken."

Oder Arend Oetker (66). Der Unternehmer ("Schwartau Extra") und Funktionär (BDI, Stifterverband für die deutsche Wissenschaft) zögert nicht, von der "Verpflichtung" zu reden, "der Gemeinschaft etwas zurückgeben zu müssen". Im Zweifel entscheide er schon mal gegen eine Betriebsschließung, auch wenn seine Manager ihm die empföhlen, erzählt er: "Lasst euch was einfallen."

Im Übrigen engagiert er sich ehrenamtlich und steckt privates Geld in gemeinnützige Stiftungen. "Auch Manager", sagt Oetker, "müssen sich fragen, was sie der Gesellschaft zurückgeben sollten. Wie viele von denen haben zum Beispiel Stiftungen eingerichtet?"

Oder Wendelin Wiedeking (53). Für den Porsche-Vorstandschef steht außer Zweifel, "dass es ohne Verantwortung für das Ganze nicht geht". Der "von gierigen Finanzinvestoren angezettelten neuen internationalisierten Wirtschaftsordnung" gibt er jedenfalls "keine Zukunft".



Status verpflichtet. In modernen Gesellschaften müssen die Angehörigen der Eliten - ob in Politik, Verwaltung oder Wirtschaft - ihre herausgehobene Position durch ihre Leistungen für die Gesellschaft rechtfertigen. Denn für Nationen, die vom Ideal der Französischen Revolution ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit") geprägt sind, ist es prinzipiell schwer erträglich, dass eine relativ dünne Führungsschicht über mehr Macht, Einfluss und Geld verfügt als der Rest.

Nur der Dienst der Eliten an der Allgemeinheit, so die Grundmelodie der bürgerlichen Elitentheorie, macht die Ungleichheit erträglich. Die Nation in eine gute Zukunft zu führen - das ist ihr Auftrag. Versagen sie in dieser Führungsfunktion, leidet ihre Legitimation.

Genau dieser Legitimationsschwund sei in vollem Gange, beobachtet der Darmstädter Elitenforscher Michael Hartmann. Weil gerade die Topmanager einen "massiven Glaubwürdigkeitsverlust" erlitten hätten und eine "zunehmende Kluft" sie vom Rest der Gesellschaft trenne, müssten sie sich auf eine zunehmend feindselige, kapitalismuskritische Öffentlichkeit einstellen. Die künftigen Proteste seien "ideologisch diffuser als in den marxistisch geprägten 60er und 70er Jahren, aber nicht weniger schlagkräftig".

Die Globalisierung bedroht ihre Vorhut.

"Wir haben ein kommunikatives Problem", sagt General-Motors-Europa-Chef Carl-Peter Forster (51). "Unsere Gesellschaft - übrigens auch viele Manager, Politiker und Gewerkschafter - ist noch nicht bereit, die wirkliche Bedrohung unseres Wohlstands anzuerkennen. Wir sind mitten in einer dritten industriellen Revolution."

Vor allem die Aufholjagd Chinas bereitet ihm Kopfschmerzen. "Sind wir bereit, die Wahrheit anzuerkennen? Da bin ich mir nicht sicher. Wir fühlen uns noch wohl in unserem alten Modell, das uns nicht mehr in die Zukunft bringen wird."

Aber was wächst nach? Welche neuen Jobs werden hier zu Lande geschaffen? "Wer pflanzt die Apfelbäume?", wie Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts, formuliert.

Schwierige Fragen, das findet auch Forster. Vor anderthalb Jahren hat er Opel erneut ein Sanierungsprogramm verpasst. Niemand bestritt damals die Notwendigkeit, schließlich hatte das Unternehmen in den Jahren zuvor Verluste in Höhe von 2,5 Milliarden Euro angehäuft. Insofern lag der Fall anders als etwa bei Conti in Hannover-Stöcken.

Das Werk in Bochum stand auf der Kippe. Dennoch, sagt Forster, sei ihm wichtig gewesen, nicht nur Personal abzubauen, sondern den verbleibenden Mitarbeitern auch "eine Perspektive" zu geben - neue Produkte zu kreieren, zusätzliche Entwicklungsaufgaben aus dem GM-Konzern nach Deutschland zu holen.

"Zukunft in Bochum gestalten, nicht Zukunft abschneiden." Wer sich nicht um die Loyalität der Mitarbeiter bemühe, sagt Forster, dem drohe die Firma auseinander zu fliegen.



Es gibt sie doch - die Versöhnung von Ethik, Betriebswirtschaft und Patriotismus. So zeigen Analysen der Unternehmensberatung Roland Berger: Die meisten der großen internationalen Unternehmen generieren den Großteil ihres Umsatzes in ihrer Herkunftsregion. Eine starke Präsenz in der Heimat ist offenbar eine Grundvoraussetzung für internationalen Erfolg.


Anders gewendet: Firmen, die ihre Heimat vernachlässigen, treiben auch international auf schwieriges Fahrwasser zu.

Heimat als Gegenpol zur Globalisierung - so empfindet das auch Martin Kannegiesser (64). Lange hat der Unternehmer und Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall mit sich gerungen. Sollte er nach China gehen, eine Fabrik hochziehen?

Die Fakten schienen eindeutig: Mitte der 90er Jahre war seine Firma in eine Krise geschlittert; zu den hohen Produktionskosten im ostwestfälischen Vlotho konnte man Bügelautomaten nicht mehr profitabel bauen. Seine Kunden saßen inzwischen überwiegend in Asien. Die Fakten schienen eindeutig. Also weg?

"Einen großen Teil des Jahres in China leben - willst du das?", habe er sich gefragt. Und sich dann selbst die Antwort gegeben: "Nääh." Er wollte Unternehmer in Ostwestfalen bleiben. Also entschloss er sich, etwas Neues anzufangen. "Patriotismus zeigt sich für mich in dem Bemühen, meinen deutschen Mitarbeitern und Standorten Zukunftschancen zu erarbeiten."

Inzwischen bauen seine 900 Beschäftigen hoch komplexe Mangelstraßen und Faltroboter für Wäschereien in aller Welt. Eine profitable Nische, die sich Kannegiesser mit dem belgischen Konkurrenten LBG teilt.

"Ich habe mir überlegt: Wo sind unsere Stärken? Was können wir hier besonders gut? Wir können als Team aus dem Basiswissen verschiedener Disziplinen neue Produkte machen." Keine leicht kopierbare Serienware, sondern Maßgeschneidertes.

Aber all das funktioniere bloß, weil es einen Teamgeist gebe, der auf einem Treueverhältnis zwischen der Belegschaft und ihm als Unternehmer fuße: "Wir haben eine Vereinbarung, dass wir uns keinen Auftrag durch die Lappen gehen lassen, nur weil wir die Lieferzeit nicht einhalten können. Im Zweifelsfall müssen unsere Leute auch aus dem Urlaub zurückkommen." Ein Vorteil, den er leicht durch illoyales Verhalten zerstören könne.



Empfiehlt er seine Methode anderen Unternehmen zur Nachahmung? Kannegiesser ist skeptisch: "Klar, die Verwurzelung kann Kräfte freisetzen, die wir dringend brauchen. Aber sie kann auch notwendige Entscheidungen aufschieben - womöglich mit schlimmen Folgen."


Auch er gibt keine Ewigkeitsgarantien mehr ab: Es müsse ja nur ein gleich guter Konkurrent an einem Billigstandort auftauchen, dann habe er aber ein ernstes Problem. Wer weiß, was er dann macht?

Es ist unausweichlich: Flexibilität ist Pflicht in Zeiten der Globalisierung. Entsprechend können sich Unternehmer und Manager strikt patriotisches Verhalten nicht leisten. Jeder Standort hat spezifische Vorteile. Unternehmen, die international investieren und weltweite Wertschöpfungsketten knüpfen, helfen, diese jeweiligen Vorteile zur Geltung zu bringen. So weit, so richtig.

Aber Nationen, das erkennen inzwischen Ökonomen wie der Italiener Guido Tabellini, funktionieren nur als Gemeinschaften von Sesshaften. Eine völlig mobile Gesellschaft wäre nicht produktiv: Ihr würden jene Werte und Normen fehlen, die eine arbeitsteilige Wirtschaft mit hoch produktiven Unternehmen erst ermöglichen.

Jede Investition in einen Betrieb ist, so gesehen, auch eine Investition in den langfristigen Erhalt der Gesellschaft, ohne die der Betrieb wiederum nicht existieren kann. Eine sozioökonomische Symbiose.

Derweil ist in Stadthagen, wo vor zwei Jahren der Kampf um das Otis-Werk tobte, wieder Normalität eingekehrt, so normal die Stimmung eben sein kann in einer Region, die seit Jahren ihre angestammten Industriebetriebe verliert und die, wie Friedrich-Wilhelm Rode, der Leiter der örtlichen Arbeitsagentur, sagt, in einer "fatalen Abwärtsentwicklung" steckt.

Es ist wie vielerorts in Deutschland: Die Industrie bröckelt weg, aber es wächst wenig Hochproduktives nach.

Ende 2005 wurde die Beschäftigungsgesellschaft aufgelöst. Viele Leute haben Jobs bei Dienstleistungsfirmen gefunden. Schlechter bezahlt, aber immerhin. Etwa 200 der ehemals 365 Otis-Werker haben inzwischen neue Stellen. Ein großer Erfolg, findet Ex-Personalchef Knüfer: "Wenn mir das einer vor zwei Jahren gesagt hätte, den hätte ich für verrückt erklärt."

Manchmal ist Deutschland flexibler, als man denkt.



Bedingt gesellschaftsfähig: Ergebnisse einer internationalen Managerbefragung.

Ansatz: Bereits zum zweiten Mal hat die Personalberatung Egon Zehnder exklusiv für mm Führungskräfte in Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien nach ihren Prioritäten und Einschätzungen gefragt.

Lage: Verglichen mit den Topmanagern in den übrigen Ländern geben sich deutsche Manager furchtlos. Ob Terrorismus, politische oder soziale Konflikte - die anderen Nationalitäten sind deutlich besorgter. Auch wirtschaftlich fühlen sich die Deutschen stark: Nur 31 Prozent der hiesigen Befragten fürchten die derzeitige Übernahmewelle - aber 45 Prozent der amerikanischen und 57 Prozent der britischen Topmanager.

Prioritäten: Kostensenkungen bleiben in allen Ländern extrem wichtig. Auch Innovationen sind ein Topthema. Die Pflege der Aktionäre spielt für die Deutschen eine auffällig geringe Rolle: Nur 42 Prozent räumen dem Thema hohe Priorität ein - aber 73 Prozent der Franzosen und 81 Prozent der Briten.

Soziale Verantwortung: Dem Thema Corporate Social Responsibility (CSR) räumen die meisten deutschen Manager eher geringe Relevanz ein. Eine systematische Beobachtung der gesellschaftlichen Lage findet nur in gut der Hälfte der Firmen statt. Auch mit der Durchsetzung von ethischen Standards bei Mitarbeitern nehmen es die Deutschen offenbar weniger genau als andere.

Ansehen: 68 Prozent der deutschen Topmanager sehen sich mit einem "massiven Vertrauensverlust" seitens der Öffentlichkeit konfrontiert, weit mehr als in den übrigen Ländern. Dürftig sieht es allerdings ihrer Meinung nach auch mit der persönlichen Integrität der Eliten aus. Topmanager bei deutschen börsennotierten Firmen schneiden ziemlich schlecht ab.

Eine noch geringere Meinung haben die hiesigen Führungskräfte allerdings von der Regierung: Nur 15 Prozent sagen, die meisten Topleute dort seien integre Persönlichkeiten. Nirgends sonst sehen die Topmanager Politiker so negativ



"Grenzen akzeptieren lernen"

BDI-Vize Arend Oetker über gesellschaftliche Verantwortung.

mm.de: Sie engagieren sich für Werte im Management. Gibt es Dinge, die man als Firmenlenker nicht tut?


Oetker: Viele. Manager und Unternehmer müssen Grenzen akzeptieren lernen. Wir haben dank der Globalisierung international enorm an Bewegungsfreiheit gewonnen. Dieser großen Freiheit müssen wir uns aber als würdig erweisen, indem wir uns aus eigener Einsicht an Werte halten.

mm.de: Was heißt das konkret?

Oetker: Vor allem, dass man anständig mit seinen Mitarbeitern umgeht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Kürzlich musste ich einen Mitarbeiter entlassen, weil er große psychische Probleme hatte. Der Mann war Anfang 50, ich habe lange mit mir gerungen, ob ich das verantworten kann. Ich habe mir sein Umfeld angesehen, ob seine Frau was dazuverdienen kann und so weiter. Man darf sich solche Entscheidungen nicht zu leicht machen. Ich fühle mich meinen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet. Das mag altmodisch klingen, aber das macht für mich Unternehmertum aus.

mm.de: Wie sieht es mit Betriebsverlagerungen aus - erlaubt oder nicht?

Oetker: Natürlich erlaubt. Aber ich muss den hiesigen Mitarbeitern eine wirklich faire Chance geben. Wenn ein Betrieb in Schwierigkeiten kommt, muss ich der Mannschaft erst mal klare Ziele setzen. Werden die Ziele erreicht, muss ich mich an die Vereinbarung halten - dann darf ich es mir nicht anders überlegen.

mm.de: Verträge einhalten - wie steht's damit?

Oetker: Ganz wichtig. Verträge, da steckt das Wort vertragen drin. Ohne langfristige Kooperation funktioniert kein Unternehmen.

mm.de: Ist die Denkweise im Management kurzfristiger geworden?

Oetker: Eindeutig. Und das ist problematisch. Wer nur kurzfristig seinen eigenen Nutzen maximieren will, der wird bestraft. Denken Sie an Napoleon. Der war kurzfristig sehr erfolgreich, aber langfristig ist er untergegangen.



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