Dienstag

Interessante Aussensicht von Deutschland...

SPIEGEL-GESPRÄCH MIT AHMADINEDSCHAD

"Wir sind entschlossen"

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad über den Holocaust, die Zukunft des Staates Israel, über Fehler Amerikas im Irak und Teherans Anspruch auf Nuklearenergie.


SPIEGEL: Herr Präsident, Sie sind Fußballfan und spielen selbst gern Fußball. Wenn die iranische Nationalmannschaft am 11. Juni in Deutschland gegen Mexiko spielt, werden Sie dann in Nürnberg im Stadion sitzen?

Ahmadinedschad: Das kommt darauf an. Ich werde mir das Spiel natürlich in jedem Fall anschauen, aber ob zu Hause vor dem Fernseher oder anderswo, weiß ich noch nicht. Meine Entscheidung hängt von vielerlei ab.


SPIEGEL: Zum Beispiel?

Ahmadinedschad: Wie viel Zeit ich habe, wie manche Beziehungen sind, ob ich dazu Lust habe und manches mehr.

SPIEGEL: Es hat in Deutschland große Ent- rüstung gegeben, als bekannt wurde, dass Sie womöglich zur Fußballweltmeisterschaft kommen werden. Hat Sie das überrascht?

Ahmadinedschad: Nein, das ist nicht wichtig, ich habe gar nicht verstanden, wie das zustande kam. Es hatte für mich auch keine Bedeutung. Ich kann diese ganze Aufregung nicht verstehen.

SPIEGEL: Sie hat mit Ihren Bemerkungen über den Holocaust zu tun. Dass der iranische Präsident den systematischen Mord der Deutschen an den Juden leugnet, löst zwangsläufig Empörung aus.

Ahmadinedschad: Ich verstehe den Zusammenhang nicht genau.


SPIEGEL: Erst machen Sie Ihre Bemerkungen über den Holocaust, dann kommt die Nachricht, Sie reisen eventuell nach Deutschland - das sorgt für Aufregung. Also waren Sie doch überrascht?



Ahmadinedschad: Nein, in keiner Weise, denn das Netzwerk des Zionismus ist weltweit sehr aktiv, auch in Europa, daher habe ich mich nicht gewundert. Wir haben das deutsche Volk als Ansprechpartner gesehen. Mit Zionisten haben wir nichts zu tun.

SPIEGEL: Das Leugnen des Holocaust steht in Deutschland unter Strafe. Ist es Ihnen gleichgültig, wenn Ihnen Entrüstung entgegenschlägt?

Ahmadinedschad: Ich weiß, dass der SPIEGEL ein renommiertes Magazin ist, aber ich weiß nicht, ob Sie die Möglichkeit haben, die Wahrheit über den Holocaust zu veröffentlichen. Sind Sie befugt, alles darüber zu schreiben?

SPIEGEL: Ganz sicher sind wir befugt, über die Erkenntnisse der historischen Forschung in den letzten 60 Jahren zu schreiben. Aus unserer Sicht besteht kein Zweifel daran, dass die Deutschen - leider - an der Ermordung von sechs Millionen Juden die Schuld tragen.


Ahmadinedschad: Nun, dann haben wir eine ganz konkrete Diskussion angeregt. Wir stellen zwei klare Fragen. Die erste lautet: Hat sich der Holocaust wirklich ereignet? Sie bejahen diese Frage. Also lautet die zweite Frage: Wer trägt die Schuld daran? Die Antwort darauf muss in Europa gefunden werden und nicht in Palästina. Es ist doch ganz klar: Wenn der Holocaust in Europa passiert ist, dann muss man die Antwort darauf ebenfalls in Europa finden. Andererseits: Wenn der Holocaust nicht passiert ist, warum ist dann dieses Besatzerregime ...

SPIEGEL: ... Sie meinen den Staat Israel ...


Ahmadinedschad: ... zustande gekommen? Warum verpflichten sich die europäischen Länder, dieses Regime zu verteidigen? Erlauben Sie mir, noch auf einen weiteren Punkt einzugehen. Wir sind der Meinung, wenn eine historische Begebenheit der Wahrheit entspricht, wird diese Wahrheit umso mehr ans Tageslicht kommen, je mehr danach geforscht und darüber gesprochen wird.

SPIEGEL: Das ist in Deutschland längst geschehen.

Ahmadinedschad: Wir wollen den Holocaust weder bestätigen noch leugnen. Wir sind gegen jede Art von Verbrechen an jedwedem Volk, aber wir wollen wissen, ob dieses Verbrechen wirklich geschehen ist oder nicht. Wenn ja, dann müssen diejenigen bestraft werden, die dafür die Verantwortung tragen, und nicht die Palästinenser. Warum ist es nicht erlaubt, über eine Tatsache zu forschen, die vor 60 Jahren passiert ist? Dabei sind andere historische Ereignisse, die zum Teil mehrere tausend Jahre zurückliegen, für die Forschung freigegeben, und auch die Regierungen unterstützen sie.

SPIEGEL: Herr Präsident, mit Verlaub, der Holocaust hat stattgefunden, es gab Konzentrationslager, es gibt Akten über die Vernichtung der Juden, es ist viel geforscht worden, und es gibt nicht den geringsten Zweifel am Holocaust und auch nicht an der Tatsache, dass die Deutschen - wir bedauern das sehr - dafür verantwortlich sind. Wenn wir noch eines ergänzen dürfen: Das Schicksal der Palästinenser wiederum ist eine ganz andere Frage, und sie bringt uns in die Gegenwart.



Ahmadinedschad: Nein, nein, die Wurzeln des Palästina-Konflikts sind in der Geschichte zu suchen. Der Holocaust und Palästina stehen in direkter Verbindung zueinander. Und wenn es den Holocaust wirklich gegeben hat, dann erlauben Sie doch, dass unparteiische Gruppen aus aller Welt forschen. Warum beschränken Sie die Forschung auf eine bestimmte Gruppe? Ich meine natürlich nicht Sie, sondern die europäischen Regierungen.

SPIEGEL: Bleiben Sie dabei, dass der Holocaust nur "ein Mythos" sei?

Ahmadinedschad: Ich akzeptiere nur dann etwas als Wahrheit, wenn ich wirklich überzeugt bin.

SPIEGEL: Obwohl alle westlichen Wissenschaftler keinen Zweifel am Holocaust hegen?

Ahmadinedschad: In Europa gibt es dazu doch zwei Meinungen. Eine Gruppe Wissenschaftler oder Personen, die meistens politisch motiviert sind, sagen, dass der Holocaust geschehen ist. Dann gibt es aber die Gruppe jener Wissenschaftler, die eine gegenteilige Auffassung vertreten und deshalb zum größten Teil inhaftiert sind. Also muss eine unparteiische Gruppe kommen, um nachzuforschen und eine Stellungnahme abzugeben zu diesem sehr wichtigen Thema. Denn die Klärung dieser Frage trägt zur Lösung von Weltproblemen bei. Unter dem Vorwand des Holocaust fand weltweit eine sehr starke Polarisierung und Frontenbildung statt. Deshalb wäre es sehr gut, wenn eine internationale und unparteiische Gruppe der Sache nachginge, um ein für alle Mal Klarheit zu schaffen. Normalerweise fördern und unterstützen Regierungen die Arbeit der Forscher über historische Ereignisse und stecken sie nicht ins Gefängnis.

SPIEGEL: Wer soll das sein, welche Forscher meinen Sie?

Ahmadinedschad: Das wissen Sie besser als ich, Sie haben die Liste. Es sind Leute aus England, aus Deutschland, Frankreich und aus Australien.

SPIEGEL: Vermutlich meinen Sie zum Beispiel den Briten David Irving, den Deutsch-Kanadier Ernst Zündel, der in Mannheim vor Gericht steht, und den Franzosen Georges Theil, die allesamt den Holocaust leugnen.

Ahmadinedschad: Allein die Tatsache, dass meine Äußerungen zu solchen heftigen Protesten geführt haben, obwohl ich kein Europäer bin, und auch die Tatsache, dass ich mit gewissen Personen in der deutschen Geschichte verglichen werde, deutet darauf hin, wie konfliktgeladen in Ihrem Land die Atmosphäre für Forscher ist. Hier in Iran können Sie unbesorgt sein.

SPIEGEL: Nun führen wir diese historische Debatte mit Ihnen aus durchaus aktuellem Anlass. Stellen Sie Israels Existenzrecht in Abrede?

Ahmadinedschad: Schauen Sie, meine Ansichten sind ganz klar. Wir sagen, wenn der Holocaust passiert ist, dann muss Europa die Konsequenzen ziehen und nicht Palästina dafür den Preis zahlen. Wenn er nicht passiert ist, dann müssen die Juden dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind. Ich glaube, dass heute auch das deutsche Volk der Gefangene des Holocaust ist. Im Zweiten Weltkrieg sind 60 Millionen Menschen gefallen, der Zweite Weltkrieg war ein riesiges Verbrechen. Wir verurteilen all das, wir sind gegen Blutvergießen, und zwar unabhängig davon, ob ein Verbrechen gegen einen Muslim oder gegen einen Christen oder Juden begangen wird. Die Frage aber ist: Warum stehen unter diesen 60 Millionen Opfern nur die Juden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit?

SPIEGEL: Das ist so nicht der Fall. Alle Völker trauern um die Opfer, die der Zweite Weltkrieg gefordert hat, Deutsche und Russen und Polen und andere ebenso. Doch wir als Deutsche können uns nicht von einer speziellen Schuld freimachen, nämlich von der systematischen Ermordung der Juden. Aber vielleicht sollten wir nun doch zum nächsten Thema übergehen.

Ahmadinedschad: Nein, ich habe eine Frage an Sie. Was für eine Rolle hat die heutige Jugend im Zweiten Weltkrieg gespielt?

SPIEGEL: Keine.

Ahmadinedschad: Warum soll sie Zionisten gegenüber Schuldgefühle haben? Warum sollen die Kosten für die Zionisten aus ihrer Tasche bezahlt werden? Wenn Leute damals Verbrechen begangen haben, dann mussten sie vor 60 Jahren vor Gericht gebracht werden. Schluss! Warum muss das deutsche Volk heute dafür erniedrigt werden, dass es im Laufe der Geschichte eine Gruppe von Menschen gab, die im Namen der Deutschen Verbrechen begangen haben?

SPIEGEL: Das heutige deutsche Volk kann nichts dafür. Aber es gibt eine Art Kollektivscham für jene Taten, die unsere Väter oder Großväter in deutschem Namen begingen.

Ahmadinedschad: Wie kann eine Person, die zur damaligen Zeit gar nicht gelebt hat, juristisch verantwortlich sein?

SPIEGEL: Nicht juristisch, sondern moralisch.

Ahmadinedschad: Warum wird dem deutschen Volk so viel auferlegt? Das deutsche Volk trägt heute keine Schuld. Warum darf das deutsche Volk nicht das Recht haben, sich zu verteidigen? Warum werden die Verbrechen einer Gruppe so betont, anstatt vielmehr das große deutsche Kulturerbe herauszustellen? Warum sollen die Deutschen nicht das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern?

SPIEGEL: Herr Präsident, wir sind uns durchaus bewusst, dass die deutsche Geschichte nicht nur aus den zwölf Jahren des Dritten Reichs besteht. Dennoch müssen

wir akzeptieren, dass im deutschen Namen schreckliche Verbrechen begangen worden sind. Dazu stehen wir auch, und es ist eine große Leistung der Deutschen in der Nachkriegsgeschichte, dass sie sich kritisch mit der Vergangenheit auseinander- gesetzt haben.

Ahmadinedschad: Sind Sie bereit, dies auch dem deutschen Volk mitzuteilen?

SPIEGEL: Oh ja, das tun wir.

Ahmadinedschad: Würden Sie daher auch zulassen, dass eine unparteiische Gruppe das deutsche Volk befragt, ob es Ihre Meinung teilt? Kein Volk akzeptiert seine Erniedrigung.

SPIEGEL: In unserem Land ist jede Frage erlaubt. Aber natürlich gibt es Rechtsradikale in Deutschland, die nicht nur antisemitisch eingestellt sind, sondern ausländerfeindlich, und sie halten wir in der Tat für eine Gefahr.

Ahmadinedschad: Ich habe eine Frage an Sie. Wie lange soll das so weitergehen? Wie lange, glauben Sie, muss das deutsche Volk die Geisel der Zionisten sein? Wann ist das zu Ende - in 20, 50, in 1000 Jahren?

SPIEGEL: Wir können nur für uns sprechen. Der SPIEGEL ist niemandes Geisel, der SPIEGEL beschäftigt sich nicht nur mit der deutschen Vergangenheit und den Verbrechen der Deutschen. Wir stehen im Palästina-Konflikt keineswegs kritiklos auf der Seite Israels. Doch eines wollen wir mit Entschiedenheit festhalten: Wir sind kritisch, wir sind unabhängig, wir lassen jedoch nicht zu, jedenfalls nicht ohne Protest, dass das Existenzrecht des Staates Israel, in dem viele Überlebende des Holocaust leben, in Frage gestellt wird.

Ahmadinedschad: Genau das sagen wir doch. Warum sollten Sie sich den Zionisten gegenüber verpflichtet fühlen? Wenn es den Holocaust gab, muss Israel in Europa liegen und nicht in Palästina.

SPIEGEL: Wollen Sie 60 Jahre nach Kriegsende ein ganzes Volk wieder umsiedeln?

Ahmadinedschad: Fünf Millionen Palästinenser sind seit 60 Jahren heimatlos. Es ist erstaunlich: Sie zahlen seit 60 Jahren Entschädigung wegen des Holocaust und müssen noch 100 Jahre weiterzahlen. Aber warum ist das Schicksal der Palästinenser kein Gegenstand der Diskussion?

SPIEGEL: Die Palästinenser werden von den Europäern sehr unterstützt, denn natürlich haben wir auch eine historische Verantwortung dafür, dass in dieser Region endlich Friede einkehrt. Aber tragen Sie diese Verantwortung nicht auch?

Ahmadinedschad: Ja, aber Aggression, Besetzung und Wiederholung des Holocaust führen nicht zum Frieden. Wir wollen einen nachhaltigen Frieden, wir müssen die Probleme an den Wurzeln lösen. Ich freue mich, dass Sie ehrliche Menschen sind und sagen, dass Sie verpflichtet sind, die Zionisten zu unterstützen.

SPIEGEL: Das haben wir nicht gesagt, Herr Präsident.

Ahmadinedschad: Sie haben Israelis gesagt.

SPIEGEL: Herr Präsident, wir reden über den Holocaust, weil wir über die mögliche atomare Bewaffnung Irans reden wollen - und deshalb werden Sie im Westen als eine Gefahr erachtet.

Ahmadinedschad: Manche Gruppen im Westen lieben es, Sachen oder Personen als gefährlich einzustufen. Bitte, Sie sind frei, so zu urteilen, wie Sie es für richtig halten.

SPIEGEL: Die Kernfrage lautet: Wollen Sie Nuklearwaffen für Ihr Land?

Ahmadinedschad: Erlauben Sie mir, eine Diskussion anzuregen: Was glauben Sie, wie lange man die Welt mit der Rhetorik einiger westlicher Mächte regieren kann? Sobald man etwas gegen eine Person hat, geht es mit Propaganda und Lügen los, mit Verleumdungen und Erpressung. Wie lange soll das so weitergehen?

SPIEGEL: Wir sind ja hier, um die Wahrheit herauszufinden. Der Staatschef eines Nachbarlandes zum Beispiel hat zum SPIEGEL gesagt: "They are very keen on building the bomb." Stimmt das?

Ahmadinedschad: Schauen Sie, unsere Diskussion mit Ihnen und den europäischen Regierungen verläuft doch auf einer ganz anderen, höheren Ebene. Wir finden dieses Rechtssystem, wonach ein paar Länder der übrigen Welt ihren Willen aufzwingen, diskriminierend und instabil. 139 Länder sind Mitglieder der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, auch wir. Sowohl die Satzung der IAEA als auch der Atomwaffensperrvertrag sowie sämtliche Sicherheitsabkommen räumen den Mitgliedsländern das Recht ein, für friedliche Zwecke über den atomaren Brennstoffkreislauf zu verfügen; das ist das gesetzlich legitimierte Recht eines jeden Volkes. Darüber hinaus wurde die Internationale Atomenergiebehörde aber auch ins Leben gerufen, um die Abrüstung jener Mächte voranzutreiben, die schon über atomare Waffen verfügten. Und nun schauen Sie, was heute passiert: Iran hatte die beste Zusammenarbeit mit der IAEA. Mehr als 2000-mal hatten wir Inspektionen in unseren Anlagen, die Inspektoren haben über 1000 Seiten Dokumente von uns bekommen. Ihre Kameras sind in unseren Nuklearzentren installiert. In allen Berichten hat die IAEA betont, dass es keine Indizien für Unregelmäßigkeiten Irans gibt. Das ist die eine Seite.

SPIEGEL: Die IAEA sieht das nicht ganz so wie Sie.

Ahmadinedschad: Die andere Seite aber ist: Es gibt einige Länder, die sowohl die Nuklearenergie als auch Nuklearwaffen haben. Sie benutzen ihre Nuklearwaffen, um andere Völker zu bedrohen. Ausgerechnet diese Mächte sagen, sie seien besorgt, dass Iran vom Weg zur friedlichen Nutzung abweicht. Wir sagen, wenn diese Mächte besorgt sind, können sie uns ja beaufsichtigen. Diese Mächte aber sagen: Die Iraner dürfen den Nuklearkreislauf nicht schließen, weil dann die Möglichkeit bestünde, dass sie von der friedlichen Nutzung abweichen. Wir sagen, dass diese Länder selbst längst von der friedlichen Nutzung abgewichen sind. Diese Mächte haben nicht das Recht, so mit uns zu reden. Diese Ordnung ist ungerecht, sie kann nicht Bestand haben.

SPIEGEL: Herr Präsident, die entscheidende Frage lautet doch: Wie gefährlich wird die Welt, wenn noch mehr Länder zu Atommächten aufsteigen - wenn ein Land wie Iran, dessen Präsident Drohungen ausstößt, in einer krisenreichen Region die Bombe baut?

Ahmadinedschad: Wir sind grundsätzlich dagegen, dass die Arsenale mit Atomwaffen noch ausgebaut werden. Wir haben deshalb vorgeschlagen, dass eine unparteiische Organisation gegründet wird und die Atommächte entwaffnet. Wir benötigen keine Waffen, wir sind ein zivilisiertes und kulturreiches Volk, unsere Geschichte zeigt, dass wir niemals irgendein Land angegriffen haben.

SPIEGEL: Iran braucht gar nicht die Bombe, die es bauen will?

Ahmadinedschad: Es ist doch interessant, dass europäische Länder dem diktatorischen Schah-Regime damals Nukleartechnologie gewähren wollten. Dieses Regime war gefährlich, dennoch waren sie bereit, ihm die Atomtechnologie zu liefern. Aber seitdem es die Islamische Republik gibt, sind diese Mächte dagegen. Ich betone noch mal, wir benötigen keine Atomwaffen. Weil wir ehrlich sind und gesetzestreu handeln, stehen wir auch zu dem, was wir sagen. Wir sind keine Betrüger. Wir wollen nur unser legitimes Recht geltend machen. Außerdem habe ich niemanden bedroht - auch dies gehört zur Propagandamaschine, die gegen mich bei Ihnen läuft.

SPIEGEL: Wäre es dann nicht notwendig, darauf hinzuwirken, dass niemand Angst davor haben muss, Sie könnten nukleare Waffen produzieren, die Sie möglicherweise gegen Israel einsetzen und so eventuell einen Weltkrieg auslösen könnten? Sie sitzen auf einem Pulverfass, Herr Präsident.

Ahmadinedschad: Erlauben Sie mir, zwei Dinge zu sagen. Kein Volk der Region hat Angst vor uns. Und niemand soll den Völkern Angst machen. Wir glauben, wenn die USA und diese zwei bis drei europäischen Länder sich nicht einmischen würden, dann würden die Völker dieser Region friedlich zusammenleben, so wie in den Tausenden Jahren zuvor. Auch Saddam Hussein wurde 1980 von Ländern in Europa und von Amerika angestiftet, gegen uns Krieg zu führen. In Bezug auf Palästina ist unser Standpunkt ganz klar. Wir sagen: Erlauben Sie, dass die Besitzer dieses Landes ihre Meinung äußern. Lassen Sie doch Juden, Christen und Muslime ihre Meinung sagen. Die Gegner dieses Vorschlags ziehen den Krieg vor und bedrohen die Region. Warum sind die USA und diese zwei bis drei europäischen Länder dagegen? Ich glaube, diejenigen, die Holocaust-Forscher einsperren, sind für Krieg und gegen Frieden. Unser Standpunkt ist demokratisch und friedlich.

SPIEGEL: Die Palästinenser sind Ihnen doch längst einen Schritt voraus, sie erkennen Israel als Faktum an, während Sie es weiter von der Landkarte ausradieren wollen. Die Palästinenser sind bereit zu einer Zwei-Staaten-Lösung, während Sie Israel das Existenzrecht absprechen.

Ahmadinedschad: Sie täuschen sich. Sie haben doch gesehen, dass das Volk bei der freien Wahl in Palästina die Hamas gewählt hat. Wir sagen, weder Sie noch wir sollten uns zum Sprecher des palästinensischen Volkes machen. Die Palästinenser sollen selbst sagen, was sie wollen. Es ist doch in Europa üblich, für jede Frage ein Referendum zu machen. Man sollte auch den Palästinensern die Gelegenheit geben, ihre Meinung zu äußern.

SPIEGEL: Die Palästinenser haben das Recht auf ihren eigenen Staat, aber die Israelis unserer Ansicht nach selbstverständlich auch.

Ahmadinedschad: Wo sind die Israelis hergekommen?

SPIEGEL: Wissen Sie, wenn wir aufrechnen wollten, woher die Menschen gekommen sind, dann müssten auch die Europäer zurück nach Ostafrika, wo alle Menschen ursprünglich herkommen.

Ahmadinedschad: Wir sprechen nicht über die Europäer, wir sprechen über die Palästinenser. Die Palästinenser waren dort in Palästina. Jetzt sind fünf Millionen zu Flüchtlingen geworden. Haben sie kein Recht auf Leben?

SPIEGEL: Herr Präsident, kommt nicht irgendwann der Zeitpunkt zu sagen: Die Welt ist, wie sie ist, und wir müssen mit dem Status quo, so wie er ist, fertig werden? Nach dem Krieg gegen den Irak ist Iran doch in einer günstigen Lage. Amerika hat den Irak-Krieg de facto verloren. Ist es also nicht an der Zeit, dass Iran zu einer konstruktiven Friedensmacht im Nahen Osten wird? Und das heißt auch, dass Iran sich von Atomplänen und aufrührerischen Reden verabschiedet?

Ahmadinedschad: Ich wundere mich, warum Sie die Position der europäischen Politiker einnehmen und fanatisch verteidigen. Sie sind ein Magazin und keine Regierung. Zu sagen, dass wir die Welt, so wie sie ist, akzeptieren sollen, bedeutet, dass die Sieger des Zweiten Weltkriegs noch 1000 Jahre Siegermächte bleiben, und dass das deutsche Volk noch 1000 Jahre erniedrigt werden muss. Denken Sie, dies ist die richtige Logik?

SPIEGEL: Nein, die richtige Logik ist es nicht, und es trifft auch nicht zu. Die Deutschen haben in der Entwicklung der Nachkriegszeit eine bescheidene, aber wichtige Rolle in der Welt gespielt, sie fühlen sich nicht seit 1945 erniedrigt und entwürdigt. Dafür sind wir zu selbstbewusst. Wir wollen jedoch jetzt von der Aufgabe Irans heute reden.

Ahmadinedschad: Dann würden wir akzeptieren, dass jeden Tag Palästinenser getötet werden, durch Terroraktionen sterben, dass Häuser zerstört werden. Aber erlauben Sie mir, über den Irak zu sprechen. Wir waren immer für Frieden und Sicherheit in der Region. Die westlichen Länder haben acht Jahre lang Saddam im Krieg gegen uns militärisch aufgerüstet, chemische Waffen eingeschlossen, und ihn politisch unterstützt. Wir waren gegen Saddam, wir haben durch ihn schweren Schaden erlitten, wir freuen uns, dass er gestürzt ist. Aber wir akzeptieren nicht, dass ein Land, unter dem Vorwand, Saddam stürzen zu wollen, geschluckt wird. Mehr als 100.000 Iraker sind ums Leben gekommen, unter der Herrschaft der Besatzer. Glücklicherweise sind Deutsche nicht dabei. Wir wollen Sicherheit im Irak.

SPIEGEL: Aber Herr Präsident, wer schluckt den Irak? Der Krieg ist für die USA praktisch verloren. Wenn Iran konstruktiv mitwirken würde, wäre den Amerikanern möglicherweise geholfen, und sie könnten über einen Rückzug nachdenken.

Ahmadinedschad: Das ist sehr interessant: Die Amerikaner besetzen das Land, töten Menschen, verkaufen das Öl, und wenn sie verloren haben, schieben sie anderen die Schuld zu. Das irakische Volk ist mit uns eng verbunden. Viele Menschen auf beiden Seiten der Grenze sind miteinander verwandt. Wir haben Tausende von Jahren zusammengelebt. Unsere heiligen Pilgerstätten liegen im Irak. Der Irak war ein Zentrum der Zivilisation genauso wie Iran.

SPIEGEL: Was folgt daraus?

Ahmadinedschad: Wir haben immer gesagt, dass wir die vom Volk gewählte Regierung im Irak unterstützen. Aber aus meiner Sicht machen es die Amerikaner schlecht. Sie haben uns mehrere Male Botschaften geschickt und uns um Hilfe und Zusammenarbeit gebeten. Sie haben gesagt, dass wir Gespräche über den Irak führen sollten. Obwohl unser Volk kein Vertrauen in die Amerikaner hat, haben wir das Angebot akzeptiert und dies öffentlich bekannt- gegeben. Amerika aber hat sich negativ geäußert, es hat uns beleidigt. Auch jetzt leisten wir unseren Beitrag für die Sicherheit im Irak. Die Bedingung für Gespräche ist, dass die Amerikaner ihre Verhaltensweise ändern.

SPIEGEL: Macht es Ihnen manchmal Spaß, die Amerikaner und den Rest der Welt zu provozieren?

Ahmadinedschad: Nein, ich beleidige niemanden. Der Brief, den ich an Herrn Bush geschrieben habe, war höflich.

SPIEGEL: Wir meinen nicht beleidigen, sondern provozieren.

Ahmadinedschad: Nein, wir fühlen niemandem gegenüber Feindseligkeit. Wir sind besorgt über die amerikanischen Soldaten, die im Irak ums Leben kommen. Warum müssen sie dort ihr Leben lassen? Der Krieg ist sinnlos. Warum gibt es Krieg, wenn es doch auch Vernunft gibt?

SPIEGEL: Ist der Brief, den Sie dem Präsidenten geschrieben haben, auch eine Geste gegenüber den Amerikanern, damit es zu direkten Verhandlungen kommt?

Ahmadinedschad: Wir haben darin unse-re Position ganz klar dargelegt, genauso sehen wir die Probleme der Welt. Die politische Atmosphäre der Welt ist durch manche Mächte stark besudelt worden, weil aus deren Sicht Lügen und Betrügen legitim sind. Das ist aus unserer Sicht sehr schlecht. Für uns verdienen alle Menschen Respekt. Die Beziehungen müssen auf der Grundlage von Gerechtigkeit geregelt werden. Wenn Gerechtigkeit herrscht, herrscht Friede. Ungerechte Verhältnisse haben keinen Bestand, auch wenn Ahmadinedschad sich nicht dagegen äußert.

SPIEGEL: In diesem Brief an den amerikanischen Präsidenten gibt es eine Passage über den 11. September 2001. Wir zitieren: "Wie könnte eine solche Operation ohne Koordinierung mit Geheim- und Sicherheitsdiensten beziehungsweise unter weitreichender Infiltration dieser Dienste geplant und durchgeführt werden?" Bei Ihnen schwingen immer so viele Unterstellungen mit. Was soll das heißen? Hat die CIA dazu beigetragen, dass Mohammed Atta und die anderen 18 Attentäter ihre Anschläge ausführen konnten?

Ahmadinedschad: Nein, das habe ich nicht gemeint. Wir finden nur, sie sollten sagen, wer schuldig ist. Sie sollten nicht unter dem Vorwand des 11. September den Nahen Osten militärisch angreifen. Sie sollen die Schuldigen vor Gericht bringen. Wir sind nicht dagegen, wir haben die Anschläge verurteilt. Wir verurteilen jede Aktion gegen unschuldige Menschen.

SPIEGEL: In diesem Brief schreiben Sie auch, der Liberalismus westlicher Prägung sei gescheitert. Wie kommen Sie eigentlich darauf?

Ahmadinedschad: Schauen Sie, für das palästinensische Problem haben Sie zum Beispiel Tausende Definitionen, und auch die Demokratie wird in jeder Ausprägung bei Ihnen anders definiert. Wenn ein Phänomen abhängig ist von der Meinung vieler Einzelner, die das Phänomen beliebig deuten dürfen, dann ist das nicht sinnvoll, damit kann man die Weltprobleme nicht lösen. Man braucht einen neuen Weg. Wir sind natürlich dafür, dass der freie Wille des Volkes herrscht, aber wir brauchen nachhaltige Prinzipien, die alle akzeptieren - zum Beispiel Gerechtigkeit. Darin sind sich Iran und der Westen einig.

SPIEGEL: Welche Rolle kommt Europa bei der Lösung des Atomkonflikts zu, und welche Erwartungen haben Sie an Deutschland?

Ahmadinedschad: Wir haben von jeher gute Beziehungen zu Europa gepflegt, insbesondere zu Deutschland. Die beiden Völker mögen sich. Wir sind interessiert, dass diese Beziehungen ausgebaut werden. Europa hat drei Fehler in Bezug auf unser Volk gemacht. Der erste Fehler war, die Regierung des Schahs zu unterstützen. Unser Volk ist deswegen enttäuscht und unzufrieden. Allerdings hat Frankreich dadurch, dass es den Imam Chomeini aufgenommen hatte, eine besondere Position erworben, die es später wieder verlor. Der zweite Fehler war die Unterstützung Saddams im Krieg gegen uns. Die Wahrheit ist, dass unser Volk erwartet hatte, Europa auf seiner Seite zu sehen und nicht gegen sich. Der dritte Fehler war das Verhalten in der Nuklearfrage. Europa wird der große Verlierer sein und nichts erzielen. Das wollen wir nicht.

SPIEGEL: Wie geht der Konflikt zwischen der westlichen Welt und Iran jetzt weiter?

Ahmadinedschad: Die Logik der Amerikaner verstehen wir. Sie haben durch den Sieg der islamischen Revolution Schaden erlitten. Aber wir wundern uns, warum manche europäischen Länder gegen uns sind. In der Nuklearfrage habe ich eine Botschaft geschickt und gefragt, warum die Europäer uns die Worte der Amerikaner übersetzen. Sie wissen doch, dass unsere Aktivitäten friedlich ausgerichtet sind. Wenn die Europäer auf der Seite Irans stehen, ist es in ihrem und unserem Interesse. Aber wenn sie sich gegen uns stellen, dann tragen nur sie den Schaden davon. Denn unser Volk ist stark und entschlossen. Die Europäer sind dabei, ihre Rolle im Nahen Osten völlig zu verlieren, und in anderen Regionen der Welt verlieren sie ihren Ruf. Man wird denken, sie seien nicht in der Lage, Probleme zu lösen.

SPIEGEL: Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die SPIEGEL-Redakteure Gerhard Spörl, Stefan Aust und Dieter Bednarz in Teheran.

"Nie mehr zurück!"

BERICHTE DEUTSCHER AUSWANDERER

"Nie mehr zurück!"

Von Anne Seith

Immer mehr Deutsche wandern aus, sagt die Statistik. Doch was treibt sie, was erleben sie, und: Kommt irgendwann das große Heimweh? SPIEGEL ONLINE bat Auswanderer, ihre Erfahrungen in der Ferne zu beschreiben. Eine Auswahl.

Hamburg - Manche Leser-Geschichten klingen wie moderne Fassungen der Legende vom Tellerwäscher, der in der Ferne zum Millionär wird. Ein Leser schrieb per Mail, er habe erst einen Tintenfischgroßhandel eröffnet - in Thailand. Später sei er dort Immobilienhändler geworden.
Eine andere Leserin träumte eines Nachts, sie müsse nach London gehen, also packte sie ihre Sachen - ohne jemals zuvor in England gewesen zu sein. Heute arbeitet sie nach diversen Abendstudienprogrammen immer noch in London in einer EU-Agentur. In Deutschland hätte sie die Karriere, die jetzt hinter ihr liegt, ohne Abitur nicht machen können, glaubt sie.

Fast alle Leser betonen, dass die Jobbedingungen in vielen Ländern im Vergleich zu Deutschland besser seien. Ein Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechniker ging nach zermürbender Arbeitssuche in Deutschland mit dem Wohnmobil in der Schweiz auf Bewerbungstour. "Ich hatte zwölf Gespräche und, ob man es glaubt oder nicht, ich hätte überall anfangen können."
Ein Informatiker suchte in Deutschland sieben Monate vergeblich, dann stellte er seinen Lebenslauf bei der Internetjobbörse monster.com ein: "Innerhalb kurzer Zeit hatte ich diverse Angebote aus der ganzen Welt." Die Wahl fiel auf die USA, dort verdiene er nun doppelt so viel wie in Deutschland, zahle aber nur einen Bruchteil der Steuern, schreibt er. "Bereits nach einem Jahr war ich in der Lage, ein anständiges Haus mit großem Garten und Pool zu erwerben."

Deutsche Auswanderer: Die Tschüs- AG (11.08.2006)

Die verlockenden Jobangebote scheinen so manchen Kulturschock in der neuen Heimat wettzumachen. Eine Frau, die ebenfalls in die USA zog, schreibt: "Man muss sich hier an einiges gewöhnen: An Leute, die mit einer Knarre in den Supermarkt gehen, um eine Packung Eier zu kaufen, an Autoversicherungen, die einen hochstufen, weil einem vor der Ampel ein Besoffener hintenreinfährt."

Vor allem müsse man sich mit dem Status als ewiger Ausländer von vornherein abfinden, schreiben viele. "Man wird Sie immer als Ausländer erkennen, sei es an Ihren blonden Haaren, Ihrem Akzent oder Ihren Gesten", berichtet etwa ein nach Trinidad ausgewanderter Leser. "Und das Lächerlichste, was man machen kann, ist, sich total den einheimischen Bräuchen zu unterwerfen. Auch Einheimische wissen, dass es keine blonden Rastafaris gibt."

An Rückkehr denken trotzdem die Wenigsten, egal, welche Probleme sie vor Ort haben. Stattdessen hegen die meisten heftigen Groll gegen ihre alte Heimat. "Thema Rente! In Deutschland steht meine Generation vor einem bankrotten Rentensystem und drohender Altersarmut", schimpft etwa ein Mann, der in der Schweiz inzwischen in einer Werbeagentur arbeitet.

Der Leser, der bis nach Trinidad zog, erklärt, es seien vor allem die Kleinigkeiten, die ihm in Deutschland unerträglich erscheinen. "Beispielsweise wenn man am frühen Morgen, bevor man zur Arbeit fährt, seinen Nachbarn in der Mülltonne stehen und darin herumtrampeln sieht, weil seit Neuestem die Füllhöhe der Tonnen zur Abrechnung gemessen wird." Nachdem die ersten fünf Jahre seines neuen Lebens in Trinidad nun um seien, "kann ich als Fazit sagen: Nie mehr zurück, wenn es nicht unbedingt sein muss. Grüße aus Trinidad am Morgen bei 28 Grad, leichtem Wind aus Südost und strahlend blauem Himmel. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!"

Spiegel Online

Eliten ueber den Wolken...

Eliten ueber den Wolken

aus manager magazin 3/2006, Seite 104

Von Henrik Mülle

Deutsche Konzernlenker entfremden sich immer weiter vom großen Rest der Nation. Eine abgehobene Elite, die ihrer gesellschaftlichen Führungsrolle nicht mehr gerecht wird.

Am Ende entließ sich Helmut Knüfer selbst. Er sperrte das Werkstor hinter sich zu und ging heim. Das war am 30. Juni vorigen Jahres. Hinter ihm lag ein schlechtes Jahr: Ärger, Streik, Frust. Und immer wieder die Frage: Haben wir alles richtig gemacht? Ging es wirklich nicht anders?

Knüfer (57) saugt an einer Camel Filter. Er trinkt schwarzen Kaffee, schön stark. Er braucht das jetzt. "Die Sache" lässt ihn nicht kalt. Und doch war es unausweichlich: "Die Sache musste gemacht werden."

Eine Fabrik schließen, eine neue aufbauen - alles folgte betriebswirtschaftlicher Logik. Die Konzernleitung hatte Zahlen vorgelegt: Die Beschäftigten in Tschechien verdienten 80 Prozent weniger als ihre deutschen Kollegen, das Lohnkostengefälle würde noch für Jahrzehnte fortbestehen. "Rational", sagt Knüfer, "war die Sache einfach - wir hatten keine Chance. Aber emotional war es so furchtbar schwer."

Er ist immer noch in sich gespalten - einerseits professioneller Manager, der der Logik des Wettbewerbs gehorcht, andererseits Lokalpatriot, der tief in der Region verwurzelt und mit den Leuten verbunden ist. Der personifizierte Widerspruch des real existierenden Standortwettbewerbs.

Knüfer war Personalchef des Rolltreppenwerks des US-Konzerns Otis in Stadthagen. Im März 2004 hatte der Konzern angekündigt, die Produktion verlagern zu wollen. Knüfer hätte mitgehen können nach Tschechien. Aber er mochte nicht mehr. Also blieb ihm nur noch, die verbliebenen Beschäftigten in eine Beschäftigungsgesellschaft zu entlassen und schließlich sich selbst in die Arbeitslosigkeit.

Der Fall Otis sorgte deutschlandweit für Aufsehen. Eine Menge Bundes- und Landesprominenz machte sich damals auf den Weg in die südniedersächsische Provinz, um die demonstrierenden Werktätigen in ihrem Kampf zu unterstützen - um anzuprangern, dass hier "die soziale Marktwirtschaft vor die Hunde geht" (IG-Metall-Chef Jürgen Peters).

All das hat Knüfer getroffen. Und es wirkt fort. Er hat jetzt eine Menge Zeit, denkt viel nach. Der Job des Managers, sagt Knüfer, bestehe nun mal darin, "der Mannschaft eine Perspektive zu geben. Wenn es die nicht mehr gibt, muss man sich verhauen lassen".



Aber wer eröffnet neue Perspektiven, und wer stiftet Zuversicht? Wie schafft man es, dass hier zu Lande neue, gut bezahlte Jobs entstehen? Wie entschärft man den Konflikt zwischen den kurzfristigen Renditeansprüchen des mobilen Kapitals einerseits und den langfristigen Belangen der Belegschaften, ja der gesamten Gesellschaft andererseits?

Fragen, die derzeit viele Manager und Unternehmer umtreiben. Sie sind unsicher, ob die Art und Weise, wie sie sich dem Standortwettbewerb stellen, eigentlich richtig ist - ob sie für kurzfristige Einsparungen nicht ihre gesellschaftliche Verankerung gefährden, ohne die wiederum kein Unternehmen langfristig erfolgreich sein kann.

Deutsche Führungskräfte zweifeln inzwischen an ihrer eigenen Kaste. Dieses Bild zeichnet das diesjährige International Executive-Panel (IEP); exklusiv für manager magazin hat die Personalberatung Egon Zehnder Topmanager in Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien befragt. Die Ergebnisse? Alarmierend.

* Nur 40 Prozent der befragten deutschen Manager geben an, die Führungskräfte der großen Kapitalgesellschaften hier zu Lande seien überwiegend "integre Persönlichkeiten" - der niedrigste Wert aller untersuchten Länder.
* Auch ihre Kollegen im eigenen Unternehmen beurteilen viele Manager nicht uneingeschränkt positiv: Lediglich 68 Prozent der Befragten halten die Führungskräfte in ihrem Umfeld für überwiegend integer; in den USA etwa liegt dieser Wert bei 90 Prozent.
* Deutsche Manager schenken den gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns vergleichsweise wenig Beachtung. In keinem der vier betrachteten Länder spielen soziale Belange im Kalkül der Firmenleitungen eine so geringe Rolle wie in Deutschland.

Es scheint fast so, als bestätigten die Ergebnisse so manches Vorurteil gegen den angeblichen "Raubtierkapitalismus". Haben wir eine abgehobene Elite, desinteressiert an der Gesellschaft?

Manfred Wennemer und Josef Ackermann - das sind die Reizfiguren der Debatte. Die Vorstandsvorsitzenden von Continental und Deutscher Bank stehen im Ruf, von einer ruchlosen Heimatlosigkeit beseelt zu sein.

So ließ Wennemer, der eine Betriebsvereinbarung für das Continental-Werk in Hannover-Stöcken platzen ließ, obwohl die Fabrik profitabel ist, dazu per Interview in der "Welt" wissen: Der Protest gegen den Abbau der 320 Jobs sei lediglich Ausdruck einer "lokalen Moral". Es sei doch klar: "International interessiert das Thema Stöcken niemanden."



Hier ein Manager, der sich als Sachwalter des übergeordneten globalen Marktes sieht, dort der große Rest der Gesellschaft, der in irgendwie archaischen lokalen Bezügen verhaftet ist - kann man mit einer solchen Einstellung langfristig erfolgreich sein? Zweifel sind erlaubt.

Erfolgreich um jeden Preis: Im Zweifelsfall entscheiden sich Topmanager nicht mehr für den Standort Deutschland
Es sei schon klar, sagt Burkhard Schwenker, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, dass auch in guten Zeiten der Wettbewerbsdruck kaum nachlasse. Aber internationale Kostenunterschiede auszunutzen sei eben nur eine unternehmerische Strategie.

Noch wichtiger sei es, zusätzliche Wertschöpfung zu kreieren, die auch hier zu Lande wettbewerbsfähig sein kann - und so nebenbei die Gesellschaft insgesamt voranzubringen. "An solch einer positiven Vision für die langfristige Existenz ihres Unternehmens in Deutschland müssen manche Manager allerdings noch arbeiten."

Die Normalbürger nehmen es zur Kenntnis, frustriert und zunehmend unwillig. Und je mehr der Aufschwung sich verfestigt, je besser die Unternehmen wirtschaftlich dastehen, desto schwieriger sind Stellenabbau, Betriebsverlagerungen und Lohnzurückhaltung zu erklären.

Selbst im Mittelstand wird der Graben zwischen Unternehmern und Belegschaften tiefer. Eine manager-magazin-Umfrage vom vorigen Herbst zeigt: Größere, erfolgreiche Mittelständler wollen eher weitere Gehaltskürzungen durchsetzen als kleinere Firmen.

Und wie die Konzerne, so fühlen auch sie sich ihrer Heimat immer weniger verpflichtet. Unternehmer mit kleineren Firmen hingegen empfinden immer noch mehrheitlich eine moralische Verpflichtung, die erwirtschafteten Gewinne vorwiegend in der Bundesrepublik zu investieren.

Das Verhaltensmuster zieht sich durch die gesamte Wirtschaft: Wer sich nichts anderes leisten kann als Deutschland, fühlt sich der Heimat enger verbunden. Wer hingegen dank Globalisierung seine Chancen überall auf der Welt suchen kann, entfernt sich innerlich vom immobilen Rest der Nation.

"Früher, in den 80er Jahren", sagt der Chef eines M-Dax-Unternehmens, "wurde noch für Standorte hier zu Lande gekämpft. Damals entschieden die Topmanager im Zweifel für Deutschland. Meine Generation kann sich das heute gar nicht mehr leisten. Wir haben keine Zeit. Wir kämpfen jeden Tag ums Überleben unserer Unternehmen."



Nur wenigen Topmanagern und Unternehmern ist egal, was aus ihrer deutschen Heimat wird. Aber die meisten nehmen die Entwicklung mit einem resignierten Gleichmut hin. Sie haben sich innerlich verabschiedet. Anderswo auf der Welt - in China, in Osteuropa, in den USA - erleben sie Gesellschaften im Aufbruch, in Deutschland hingegen vor allem Tristesse und miese Laune.


Die Folge ist eine wechselseitige Entfremdung zwischen der international aktiven Wirtschaftselite und dem großen Rest der Nation.

So fühlt sich inzwischen die Mehrheit der deutschen Manager von dieser Gesellschaft unverstanden, wie die Zehnder-Umfrage zeigt: 68 Prozent der deutschen Befragten - mehr als in allen anderen Ländern - geben an, sie seien mit "einem massiven Vertrauensverlust" konfrontiert.

Interessanterweise ficht sie das aber kaum an. Verglichen mit den übrigen befragten Nationalitäten, machen sich die deutschen Führungskräfte keine großen Sorgen über die politische und gesellschaftliche Situation im Land: Nur 35 Prozent der deutschen Befragten fürchten das Ausbrechen von gesellschaftlichen Krisensymptomen, viel weniger als unter ihren französischen (88 Prozent), britischen (81 Prozent) und amerikanischen (55 Prozent) Pendants.

Offenkundig ist es so: Deutsche Manager nehmen die Stabilität der Gesellschaft als gegeben an - das ist Sache der Politik und des Sozialstaats -, weshalb sie glauben, die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns ignorieren zu können. Darf man fordern, dass sich die Wirtschaftseliten mehr einsetzen müssen - für die Gesellschaft, für die Nation, wenn man so will?

Man darf. Horst Köhler (62) zum Beispiel, nicht gerade als Kritiker des globalen Kapitalismus verschrien, mahnt eindringlich: "Die Verantwortung von Unternehmern endet nicht an den Werkstoren." Schließlich verdankten sie ihren Erfolg "auch den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen".

Ungewohnt spitz formuliert der Bundespräsident: "Es ist erlaubt, die Ärmel noch mehr hochzukrempeln, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, und dabei auch an das Land zu denken."

Oder Arend Oetker (66). Der Unternehmer ("Schwartau Extra") und Funktionär (BDI, Stifterverband für die deutsche Wissenschaft) zögert nicht, von der "Verpflichtung" zu reden, "der Gemeinschaft etwas zurückgeben zu müssen". Im Zweifel entscheide er schon mal gegen eine Betriebsschließung, auch wenn seine Manager ihm die empföhlen, erzählt er: "Lasst euch was einfallen."

Im Übrigen engagiert er sich ehrenamtlich und steckt privates Geld in gemeinnützige Stiftungen. "Auch Manager", sagt Oetker, "müssen sich fragen, was sie der Gesellschaft zurückgeben sollten. Wie viele von denen haben zum Beispiel Stiftungen eingerichtet?"

Oder Wendelin Wiedeking (53). Für den Porsche-Vorstandschef steht außer Zweifel, "dass es ohne Verantwortung für das Ganze nicht geht". Der "von gierigen Finanzinvestoren angezettelten neuen internationalisierten Wirtschaftsordnung" gibt er jedenfalls "keine Zukunft".



Status verpflichtet. In modernen Gesellschaften müssen die Angehörigen der Eliten - ob in Politik, Verwaltung oder Wirtschaft - ihre herausgehobene Position durch ihre Leistungen für die Gesellschaft rechtfertigen. Denn für Nationen, die vom Ideal der Französischen Revolution ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit") geprägt sind, ist es prinzipiell schwer erträglich, dass eine relativ dünne Führungsschicht über mehr Macht, Einfluss und Geld verfügt als der Rest.

Nur der Dienst der Eliten an der Allgemeinheit, so die Grundmelodie der bürgerlichen Elitentheorie, macht die Ungleichheit erträglich. Die Nation in eine gute Zukunft zu führen - das ist ihr Auftrag. Versagen sie in dieser Führungsfunktion, leidet ihre Legitimation.

Genau dieser Legitimationsschwund sei in vollem Gange, beobachtet der Darmstädter Elitenforscher Michael Hartmann. Weil gerade die Topmanager einen "massiven Glaubwürdigkeitsverlust" erlitten hätten und eine "zunehmende Kluft" sie vom Rest der Gesellschaft trenne, müssten sie sich auf eine zunehmend feindselige, kapitalismuskritische Öffentlichkeit einstellen. Die künftigen Proteste seien "ideologisch diffuser als in den marxistisch geprägten 60er und 70er Jahren, aber nicht weniger schlagkräftig".

Die Globalisierung bedroht ihre Vorhut.

"Wir haben ein kommunikatives Problem", sagt General-Motors-Europa-Chef Carl-Peter Forster (51). "Unsere Gesellschaft - übrigens auch viele Manager, Politiker und Gewerkschafter - ist noch nicht bereit, die wirkliche Bedrohung unseres Wohlstands anzuerkennen. Wir sind mitten in einer dritten industriellen Revolution."

Vor allem die Aufholjagd Chinas bereitet ihm Kopfschmerzen. "Sind wir bereit, die Wahrheit anzuerkennen? Da bin ich mir nicht sicher. Wir fühlen uns noch wohl in unserem alten Modell, das uns nicht mehr in die Zukunft bringen wird."

Aber was wächst nach? Welche neuen Jobs werden hier zu Lande geschaffen? "Wer pflanzt die Apfelbäume?", wie Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts, formuliert.

Schwierige Fragen, das findet auch Forster. Vor anderthalb Jahren hat er Opel erneut ein Sanierungsprogramm verpasst. Niemand bestritt damals die Notwendigkeit, schließlich hatte das Unternehmen in den Jahren zuvor Verluste in Höhe von 2,5 Milliarden Euro angehäuft. Insofern lag der Fall anders als etwa bei Conti in Hannover-Stöcken.

Das Werk in Bochum stand auf der Kippe. Dennoch, sagt Forster, sei ihm wichtig gewesen, nicht nur Personal abzubauen, sondern den verbleibenden Mitarbeitern auch "eine Perspektive" zu geben - neue Produkte zu kreieren, zusätzliche Entwicklungsaufgaben aus dem GM-Konzern nach Deutschland zu holen.

"Zukunft in Bochum gestalten, nicht Zukunft abschneiden." Wer sich nicht um die Loyalität der Mitarbeiter bemühe, sagt Forster, dem drohe die Firma auseinander zu fliegen.



Es gibt sie doch - die Versöhnung von Ethik, Betriebswirtschaft und Patriotismus. So zeigen Analysen der Unternehmensberatung Roland Berger: Die meisten der großen internationalen Unternehmen generieren den Großteil ihres Umsatzes in ihrer Herkunftsregion. Eine starke Präsenz in der Heimat ist offenbar eine Grundvoraussetzung für internationalen Erfolg.


Anders gewendet: Firmen, die ihre Heimat vernachlässigen, treiben auch international auf schwieriges Fahrwasser zu.

Heimat als Gegenpol zur Globalisierung - so empfindet das auch Martin Kannegiesser (64). Lange hat der Unternehmer und Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall mit sich gerungen. Sollte er nach China gehen, eine Fabrik hochziehen?

Die Fakten schienen eindeutig: Mitte der 90er Jahre war seine Firma in eine Krise geschlittert; zu den hohen Produktionskosten im ostwestfälischen Vlotho konnte man Bügelautomaten nicht mehr profitabel bauen. Seine Kunden saßen inzwischen überwiegend in Asien. Die Fakten schienen eindeutig. Also weg?

"Einen großen Teil des Jahres in China leben - willst du das?", habe er sich gefragt. Und sich dann selbst die Antwort gegeben: "Nääh." Er wollte Unternehmer in Ostwestfalen bleiben. Also entschloss er sich, etwas Neues anzufangen. "Patriotismus zeigt sich für mich in dem Bemühen, meinen deutschen Mitarbeitern und Standorten Zukunftschancen zu erarbeiten."

Inzwischen bauen seine 900 Beschäftigen hoch komplexe Mangelstraßen und Faltroboter für Wäschereien in aller Welt. Eine profitable Nische, die sich Kannegiesser mit dem belgischen Konkurrenten LBG teilt.

"Ich habe mir überlegt: Wo sind unsere Stärken? Was können wir hier besonders gut? Wir können als Team aus dem Basiswissen verschiedener Disziplinen neue Produkte machen." Keine leicht kopierbare Serienware, sondern Maßgeschneidertes.

Aber all das funktioniere bloß, weil es einen Teamgeist gebe, der auf einem Treueverhältnis zwischen der Belegschaft und ihm als Unternehmer fuße: "Wir haben eine Vereinbarung, dass wir uns keinen Auftrag durch die Lappen gehen lassen, nur weil wir die Lieferzeit nicht einhalten können. Im Zweifelsfall müssen unsere Leute auch aus dem Urlaub zurückkommen." Ein Vorteil, den er leicht durch illoyales Verhalten zerstören könne.



Empfiehlt er seine Methode anderen Unternehmen zur Nachahmung? Kannegiesser ist skeptisch: "Klar, die Verwurzelung kann Kräfte freisetzen, die wir dringend brauchen. Aber sie kann auch notwendige Entscheidungen aufschieben - womöglich mit schlimmen Folgen."


Auch er gibt keine Ewigkeitsgarantien mehr ab: Es müsse ja nur ein gleich guter Konkurrent an einem Billigstandort auftauchen, dann habe er aber ein ernstes Problem. Wer weiß, was er dann macht?

Es ist unausweichlich: Flexibilität ist Pflicht in Zeiten der Globalisierung. Entsprechend können sich Unternehmer und Manager strikt patriotisches Verhalten nicht leisten. Jeder Standort hat spezifische Vorteile. Unternehmen, die international investieren und weltweite Wertschöpfungsketten knüpfen, helfen, diese jeweiligen Vorteile zur Geltung zu bringen. So weit, so richtig.

Aber Nationen, das erkennen inzwischen Ökonomen wie der Italiener Guido Tabellini, funktionieren nur als Gemeinschaften von Sesshaften. Eine völlig mobile Gesellschaft wäre nicht produktiv: Ihr würden jene Werte und Normen fehlen, die eine arbeitsteilige Wirtschaft mit hoch produktiven Unternehmen erst ermöglichen.

Jede Investition in einen Betrieb ist, so gesehen, auch eine Investition in den langfristigen Erhalt der Gesellschaft, ohne die der Betrieb wiederum nicht existieren kann. Eine sozioökonomische Symbiose.

Derweil ist in Stadthagen, wo vor zwei Jahren der Kampf um das Otis-Werk tobte, wieder Normalität eingekehrt, so normal die Stimmung eben sein kann in einer Region, die seit Jahren ihre angestammten Industriebetriebe verliert und die, wie Friedrich-Wilhelm Rode, der Leiter der örtlichen Arbeitsagentur, sagt, in einer "fatalen Abwärtsentwicklung" steckt.

Es ist wie vielerorts in Deutschland: Die Industrie bröckelt weg, aber es wächst wenig Hochproduktives nach.

Ende 2005 wurde die Beschäftigungsgesellschaft aufgelöst. Viele Leute haben Jobs bei Dienstleistungsfirmen gefunden. Schlechter bezahlt, aber immerhin. Etwa 200 der ehemals 365 Otis-Werker haben inzwischen neue Stellen. Ein großer Erfolg, findet Ex-Personalchef Knüfer: "Wenn mir das einer vor zwei Jahren gesagt hätte, den hätte ich für verrückt erklärt."

Manchmal ist Deutschland flexibler, als man denkt.



Bedingt gesellschaftsfähig: Ergebnisse einer internationalen Managerbefragung.

Ansatz: Bereits zum zweiten Mal hat die Personalberatung Egon Zehnder exklusiv für mm Führungskräfte in Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien nach ihren Prioritäten und Einschätzungen gefragt.

Lage: Verglichen mit den Topmanagern in den übrigen Ländern geben sich deutsche Manager furchtlos. Ob Terrorismus, politische oder soziale Konflikte - die anderen Nationalitäten sind deutlich besorgter. Auch wirtschaftlich fühlen sich die Deutschen stark: Nur 31 Prozent der hiesigen Befragten fürchten die derzeitige Übernahmewelle - aber 45 Prozent der amerikanischen und 57 Prozent der britischen Topmanager.

Prioritäten: Kostensenkungen bleiben in allen Ländern extrem wichtig. Auch Innovationen sind ein Topthema. Die Pflege der Aktionäre spielt für die Deutschen eine auffällig geringe Rolle: Nur 42 Prozent räumen dem Thema hohe Priorität ein - aber 73 Prozent der Franzosen und 81 Prozent der Briten.

Soziale Verantwortung: Dem Thema Corporate Social Responsibility (CSR) räumen die meisten deutschen Manager eher geringe Relevanz ein. Eine systematische Beobachtung der gesellschaftlichen Lage findet nur in gut der Hälfte der Firmen statt. Auch mit der Durchsetzung von ethischen Standards bei Mitarbeitern nehmen es die Deutschen offenbar weniger genau als andere.

Ansehen: 68 Prozent der deutschen Topmanager sehen sich mit einem "massiven Vertrauensverlust" seitens der Öffentlichkeit konfrontiert, weit mehr als in den übrigen Ländern. Dürftig sieht es allerdings ihrer Meinung nach auch mit der persönlichen Integrität der Eliten aus. Topmanager bei deutschen börsennotierten Firmen schneiden ziemlich schlecht ab.

Eine noch geringere Meinung haben die hiesigen Führungskräfte allerdings von der Regierung: Nur 15 Prozent sagen, die meisten Topleute dort seien integre Persönlichkeiten. Nirgends sonst sehen die Topmanager Politiker so negativ



"Grenzen akzeptieren lernen"

BDI-Vize Arend Oetker über gesellschaftliche Verantwortung.

mm.de: Sie engagieren sich für Werte im Management. Gibt es Dinge, die man als Firmenlenker nicht tut?


Oetker: Viele. Manager und Unternehmer müssen Grenzen akzeptieren lernen. Wir haben dank der Globalisierung international enorm an Bewegungsfreiheit gewonnen. Dieser großen Freiheit müssen wir uns aber als würdig erweisen, indem wir uns aus eigener Einsicht an Werte halten.

mm.de: Was heißt das konkret?

Oetker: Vor allem, dass man anständig mit seinen Mitarbeitern umgeht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Kürzlich musste ich einen Mitarbeiter entlassen, weil er große psychische Probleme hatte. Der Mann war Anfang 50, ich habe lange mit mir gerungen, ob ich das verantworten kann. Ich habe mir sein Umfeld angesehen, ob seine Frau was dazuverdienen kann und so weiter. Man darf sich solche Entscheidungen nicht zu leicht machen. Ich fühle mich meinen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet. Das mag altmodisch klingen, aber das macht für mich Unternehmertum aus.

mm.de: Wie sieht es mit Betriebsverlagerungen aus - erlaubt oder nicht?

Oetker: Natürlich erlaubt. Aber ich muss den hiesigen Mitarbeitern eine wirklich faire Chance geben. Wenn ein Betrieb in Schwierigkeiten kommt, muss ich der Mannschaft erst mal klare Ziele setzen. Werden die Ziele erreicht, muss ich mich an die Vereinbarung halten - dann darf ich es mir nicht anders überlegen.

mm.de: Verträge einhalten - wie steht's damit?

Oetker: Ganz wichtig. Verträge, da steckt das Wort vertragen drin. Ohne langfristige Kooperation funktioniert kein Unternehmen.

mm.de: Ist die Denkweise im Management kurzfristiger geworden?

Oetker: Eindeutig. Und das ist problematisch. Wer nur kurzfristig seinen eigenen Nutzen maximieren will, der wird bestraft. Denken Sie an Napoleon. Der war kurzfristig sehr erfolgreich, aber langfristig ist er untergegangen.



© manager-magazin.de 2006